Aus dem Sanella-Album China Tibet Japan

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Städten, aber in dem Landstädtchen Küfu ist der größte und schönste. Mit seinen 16 Toren, 15 Höfen und 15 Hallen füllt er ein ganzes Drittel der Stadt aus. Der Duft von Weihrauch und Ochsenfettkerzen und das Gedröhn von Pauken, Gongs und kunstvoll gegossenen Bronzeglocken erfüllt die Luft. Vor den Gedächtnistafeln, Bildern und Statuen des Konfuzius verbeugen sich Freddy und Kwok Song ebenso ehrfurchtsvoll wie Sun Lo und die vielen ländlichen Pilger. Priester und Mönche, . Sonntage und Predigten, gibt es im Konfuziustempel nicht. Überwältigt stehen Tom und seine Freunde vor dem Tempel der Großen Vollendung. Sein mächtiges Doppeldach wird von marmornen Drachensäulen getragen. Zehnmal hat der Bildhauer dasselbe Motiv gestaltet: zwei Drachen, die nach einer Perle schnappen. Reich vergoldet ist der Altarschrein drinnen; darin sitzt hinter einem perlenbestickten Seidenvorhang der große Weise. Eine halbe Stunde später sind sie in der Residenz des lebenden Kungtsenachfolgers. Auf das Empfehlungsschreiben der Studenten wird auch Tom mit eingelassen. Eine Weile müssen sie in der Empfangshalle warten. "Ich bin neugierig, ob der Nachkomme nach 77 Generationen noch Ähnlichkeit mit seinem Urahnen hat", flüstert Freddy seinen Freunden zu.

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Dann öffnet sich die Tür, ein Pekinghündchen kommt hereinspaziert und hinter ihm im Ischang, mit einem Fächer in der Hand und freundlich lächelnd, der etwa dreißigjährige Herzog Kung. "Herzog, der die Weisheit vererbt", ist sein Ehrentitel. Selbst die chinesischen Studenten können sich nicht mit ihm unterhalten. Ihren Kantondialekt und ihr Englisch versteht der Herzog nicht. Von seinen Hauslehrern hat er nur den Pekinger Norddialekt gelernt. Er ist nie auf Reisen gewesen, trotzdem sein Vater schon vor seiner Geburt gestorben ist. Zur Erinnerung schenkt er jedem Jungen ein Kinderbildnis von sich. "Von ihm selbst entwickelt", sagt der Diener, "der Herzog ist ein eifriger Amateurphotograph." Das Grab des alten Weisen ist zwei Kilometer außerhalb des Nordtores der Stadt. Eine schattige Allee alter Zypressenbäume führt dahin. Tom erwartet etwas wie das Sun=Yatsen=Mausoleum in Nanking. Aber das Grab dieses großen Mannes, der, wie die Chinesen sagen, zehntausend Generationen gelehrt hat, ist ein einfacher, mit Gras und Gesträuch bewachsener vier Meter hoher Hügel. Davor steht ein mit Drachen geschmückter Gedenkstein mit der Inschrift "Grab des großen Vollendeten, höchst heiligen, Kultur verbreitenden Königs". "Ein König war er ja gar nicht!" meint Freddy, "er war ein Aufseher der Kornspeicher und später Minister im Schantunger Fürstentum Lu."

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Auf dem heiligen Berg Taischan

Auf der Rückfahrt im Maultierkarren und im Zug nach Taian streiten sich die fünf um Kungtses Lehre. Sun Lo ist Konfuzianer , Fu Konfuzianer und Buddhist, Lao Taoist und Freddy christlich erzogen. "Es gibt leider nur drei Millionen Christen in China", sagt Freddy, " aber vierhundert Millionen Konfuzianer." Tschiangkaischek, hat eine Erneuerung der konfuzianischen Sitten versucht, aber Mao Tse=tung ist ein Gegner dieser Lehre. Vom Taischan schreibt Tom an Wang eine Postkarte.

Lieber Wang, ich habe mit fünf Studenten aus Singapore ein Wettrennen auf den Taischan gemacht. Vom Stadttempel in Taian bis zu dem Konfuziustempel auf dem Gipfel sind 5858 Stufen!! Wir haben sie nicht gezählt, aber fromme Pilger wußten die Zahl genau. Ich habe das Rennen über 40 Li gewonnen. In drei Stunden und 32 Minuten war ich oben. Der Reiseführer gibt die Aufstiegzeit mit sechs Stunden an! Wie ganz anders ist hier alles als auf dem Höngschan. Nackte, bizarre Gneisfelsen und wenig Grün. Nur einzelne, sturmzerzauste Kiefern bei den Wasserfällen, Brücken und Tempeln. Ströme von Schweiß haben wir auf den Felsentreppen vergossen. Oben hätten wir uns am liebsten wie die Pilger in Decken gewickelt. Vom 1545 m hohen Gipfel soll man an klaren Wintertagen bis zum Gelben Meer sehen können. Wir sahen nur das Silberband des Gelben Flusses. Von SO zogen Regenwolken auf, und abwärts sind wir noch schneller gerannt. Morgen mittag bin ich bei meinem Vater in Peking, Nordhotel. Bereite Dich darauf vor, daß wir die Jangtsefahrt bald machen. Treffpunkt Hankau. Ich schicke ein Telegramm. Viele Grüße an Euch alle.

Dein Tom.

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