Aus dem Sanella-Album China Tibet Japan

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Noch einmal eine ziemlich kahle Berggegend an der Südgrenze von Schensi, dann sind sie über dem roten Becken von Szetschuan, aus dem alle Wasser nach dem oberen Jangtsekiang abfließen. "Szetschuan heißt ,Vier Flüsse', aber damit sind nur die vier größten gemeint. Tatsächlich hat das rote Becken wohl viermal hundert Flüsse. Szetschuan, die größte und reichste der 31 chinesischen Provinzen, ist so groß wie Deutschland und hat auch ebenso viele Einwohner." Dorrtsche weiß in der Erdkunde offenbar sehr gut Bescheid. An den Hügelhängen des Kialing=Flusses, über dem sie jetzt in geringerer Höhe dahinfliegen, ziehen sich Terrassenfelder mit Reis und Zuckerrohr, Orangen, Grapefruits und Tee, Tabak und Opium, Mais und Weizen hoch hin» auf. Manchmal bis an die Gipfel der Berge. In einem Gewirr von Flußarmen liegt Tschengtu, die Hauptstadt der Provinz. Sie ist wie Sianfu eine Halbmillionenstadt, aber hier erscheint alles viel freundlicher, grüner. "Die Stadt ist reich wie die Provinz. Die Salzquellen von Szetschuan versorgen fast ganz China mit Salz. Seine Fabriken liefern die beste chinesische Seide." Der Flugplatz ist groß und modern.

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Er ist während des letzten Krieges mit amerikanischer Hilfe ausgebaut worden. Bei brütender Hitze muß die Reisegesellschaft in .- eine kleinere Maschine umsteigen. Die Träger auf dem Flugplatz arbeiten mit nacktem Oberkörper. Unter ihren schulterbreiten Strohhüten haben sie ein Schweißtuch um die Stirn gewickelt. Tom fragt Dorrtsche, warum sie die Maschine wechseln. "Auf dem behelfsmäßigen Flugplatz von Batang kann eine große Maschine nicht landen. Selbst mit dieser ist es noch eine ziemlich gefährliche Angelegenheit. .." Nach dem Start geht es gleich in große Höhen. Über die Wolkendecke, die im Sommer fast immer über dem wasserreichen roten Becken lagert. Herrlich, so eine weiße Wolkendecke von oben anzusehen! Nur ein dunkel bewaldeter Gipfel steht in dem weißen Wolkenmeer. Das ist der Omeischan, Chinas vierter heiliger Berg. Dorrtsche wechselt einige Worte mit dem Piloten in der Führerkabine. Dann darf Tom hineinkommen und die Aussicht nach vorn genießen. Er ist sprachlos vor Staunen. Vor ihm liegen, über den Wolken, aber unter strahlend blauem Himmel, die Schneegipfel Tibets. Eine ganze Kette. Alle sind über 6000 Meter hoch, der Minya Congkar gar 7700 Meter! 

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Nach Tibet hinein

Mit westlichem Kurs fliegen sie direkt in die Kette hinein! Nach einem Wortwechsel mit Herrn Wu, dem deutschsprechenden chinesischen Beamten, zieht Dorrtsche Tom wieder in den Passagierraum zurück. Sie haben jetzt auch aus den Seitenfenstern Sicht auf die Schneeberge. Dorrtsche erzählt: "An den Füßen dieser Gipfelriesen wohnen Tibetaner und Chinesen nebeneinander. Unten in dem Bergtor, in das wir hineinfliegen, liegt unter der Wolkendecke Tatsienlu, 2600 Meter über dem Meeresspiegel. Die Chinesen nennen die Grenzstadt Kangting, gesicherter 'Friede'. Vor zwei Jahrzehnten haben sie aus diesem Grenzgebiet eine neue chinesische Provinz gemacht, die sie Sikang, den 'westlich erhabenen Frieden' nennen. Wir Tibetaner nennen diese Gegend von alters her Kham, wie Tibet in unserer Sprache auch nicht Tibet, sondern Bö heißt. - In Tatienlu beginnt die große Pilger= und Handelsstraße nach Lhasa, auf der Tee, Reis und Baumwolle nach Tibet, und Wolle, Felle und Heilkräuter nach China getragen werden." - "Getragen?" fragt Tom erstaunt. - "Ja, getragen.

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Bis heute ist Tibet das Land ohne Räder." - "Wenn wir die Räder am Fahrgestell unserer Maschine nicht mitzählen", wirft Tom lachend ein. "Über die Hochgebirge und Hochsteppen Tibets wird bis heute alles getragen, auf den Rücken von Menschen und Eseln, Ponies und Maultieren, vor allem aber von unsern Bergochsen, den kräftigen Jaks. Als ich so alt war wie du, Tom, da habe ich die Pilgerreise von Batang nach Tatsienlu mit einer Jakkarawane gemacht. Bergauf und bergab, durch Schnee und Eis und Stürme. Das dauerte genau einen Monat. Jetzt fliegen wir in zwei Stunden darüber hin. Erst 1940 kamen die ersten Autos von Tschengtu nach Tatsienlu. Heute sind Tausende von Männern und Frauen, Bauern und Soldaten dabei, eine 1200 Kilometer lange Autostraße von

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