Aus dem Sanella-Album China Tibet Japan

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Seite 28

Bergklausen mit Eremiten (Einsiedlern). Bei jedem Tempel setzen die Träger ab. Die Pilger machen ihre Kotaus (tiefe Verbeugungen) vor den Götterbildern, verbrennen Räucherkerzen und lassen sich von den Mönchen Tee servieren. Dumpf tönen Gongs in die wundersame Ruhe der Tempelhöfe. Leise plätschert kühles Bergwasser aus Bambusleitungen in mächtige, steingefaßte Wasserbecken. In der Sonne leuchten die gelbglasierten Ziegel der mächtigen, geschwungenen Dächer wie Gold durch das dunkle Grün der Tempelhaine. Die meisten Tempel sind aus Holz gebaut. Bei einem aber ruht das Dach auf mächtigen Steinsäulen. So hat Tom sich griechische Tempel vorgestellt. Der mit Felsplatten belegte Pilgerpfad führt immer nach Westen, aber nicht geradewegs. Stundenlang sehen sie den Mondtempel auf dem Gipfel des Höngschanberges vor sich, in Serpentinen windet sich der Pilgerweg bergan. Genau 2000 Kilometer weiter nach Westen liegt Lhasa, die heilige Stadt von Tibet. .. Die Sänftenträger schwitzen und stöhnen in der Hitze des Mittags. Gequält klingt ihr Hä ho. Hä ho. Tom und Wang gehen lieber zu Fuß nebenher. Herunterkommende Pilger nicken ihnen freundlich zu. Bettelmönche in zerlumpten Gewändern halten ihnen ihre Bettelschalen entgegen und verbeugen sich tief, wenn sie eine Kupfermünze bekommen. Am Tor des Mondtempels begrüßt sie ein Mönchschüler, der höchstens 10 Jahre alt ist. In seinem kahlgeschorenen Haar sind die sechs Brandmale der Weihe. Die älteren Mönche tragen hohe Filzmützen. Im Wirtschaftshof bekommen Tom und Wang Tee und Reis mit Bohnenkuchen. Fleisch wird in buddhistischen Tempeln nicht gegessen. Denn Buddha hat gelehrt, daß kein lebendes Wesen getötet werden darf - auch kein Moskito. Zur Übernachtung wird ihnen eine leere Mönchszelle zugewiesen.

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Auf dem Wege dahin begrüßt sie der Abt mit einer stummen Verbeugung. Vom Fenster der Zelle haben sie eine großartige Aussicht nach Westen auf die Berge von Hunan. Bei Sonnenuntergang schwillt das Gedröhn der Gongs zu einem dumpfen Brausen an. Die Mönche hocken in langen Reihen vor der großen goldenen Buddhafigur und sprechen murmelnd das große Gebet: "O mi to fo, O mi to fo, O mi to fo", "O du großer Gott der Barmherzigkeit". Dabei gleiten die Kugeln ihrer langen Gebetsketten durch ihre Finger. Tom und Wang haben stumm im Hintergrund der großen Gebetshalle gestanden. Plötzlich zupft ein Mönch an ihren Ärmeln und bedeutet ihnen, ihm zu folgen. Sie kommen in einen inneren, bisher verschlossenen Hof. Das Mondtor! In dem Augenblick, wo alle Gongs schweigen und das Gemurmel der Mönche aufhört, steht der rote Feuerball der Sonne mitten im runden Tor und füllt ihn ganz aus. Ein unvergleichliches Schauspiel! Stumm schauen sie zu, bis die Sonne ganz versunken ist. Schnell wird es dunkel und kühl. Das Gedröhn der Gongs und das Gemurmel der Betenden setzt wieder ein. "O mi to fo! O mi to fo!" Sie schlagen nach keinem Moskito.

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- Es ist noch kühle Nacht, als der Trägervormann an ihre Zellentür klopft und sie weckt. Stumm führt er sie noch einmal an das Mondtor, in dem jetzt der volle Mond steht. Dann geht es in rasendem Tempo den Berg hinab. Tom und Wang laufen wieder, aber sie können den Trägern mit den leeren Sänften kaum folgen. Um 8 Uhr sitzen sie wieder im Zug. Niemand hat mehr von Goldstaubland gesprochen. Aber die Jungen ahnen, was für eine ferne fremde Welt Tibet ist. Ihr Wunsch, dahin zu kommen, ist nicht schwächer geworden.

Reiches China, armes China

Die Bahnlinie, über die der Zug jetzt rollt, ist erst 1937 fertig geworden. Vierzig Jahre hat man an der Kanton=Hankau=Bahn gebaut. Wang erzählt, daß die Schienen zum Teil aus Deutschland gekommen sind. China hat kein einziges Stahlwerk, das Schienen herstellen kann. Die Kaiser von China wollten keine Modernisierung des Landes. Nach 1911 wurde der Bau von Fabriken und Bahnen durch einen 40jährigen Bürgerkrieg aufgehalten. "Dabei hat China reiche Bodenschätze. Die Kohlen= und Eisenerzlager des Landes gehören zu den reichsten der Welt. Im Höngschangebiet findet man Wolfram und Antimon. Von diesen beiden Metallen, die für die Herstellung von Glühbirnen und Drucklettern und für die Härtung von Stahl so wichtig sind, fördert China mehr als irgendein anderes Land der Welt."

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