Aus dem Sanella-Album China Tibet Japan

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Seite 21

Der Vormann der Träger wird sie euch beim fünften Trägerwechsel wieder abnehmen." Tom weiß nicht, worüber er sich mehr freuen soll, über die schnelle Befreiung, oder über die 300 Dollar. Vor Freude kneift er Wang in den Arm. Willig lassen sie sich die Binden wieder anlegen. - Vor dem Tor besteigen sie bereitstehende Sänften. Die Träger laufen Trapp. Hä ho, hä ho. Manchmal lehnt Tom schwer gegen die Rücklehne der Sänfte, manchmal rutscht er nach vorn fast vom Sitz. Es geht bergauf und bergab. Die Nacht ist warm. Tom riecht den Schweiß der Träger. An ihren Stimmen erkennt er, daß die Sänfte vorn und hinten von je zwei Mann getragen wird. Andere laufen ohne Last nebenher oder tragen das Gepäck. Alle zehn Li, d. h. nach etwa einer Stunde Weges, ist Trägerwechsel. Dabei wird die Sänfte nicht einmal abgesetzt. Aber Tom spürt, wie die Bambustragstangen auf andere Schultern gelegt werden. Er zählt die Wechsel. Nach dem dritten wird es kühler. Sind sie höher in die Berge gekommen, oder ist es die Kühle vor der Morgendämmerung? Tom denkt an nächtliche Zeltfahrten in der Heimat. Dabei muß er eingenickt sein. Beim Stolpern eines Trägers wacht er wieder auf.

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Hat er einen Wechsel verschlafen? Plötzlich lautes Rufen "Haula, tschifandi!" Das Wort hat Tom gestern beim Essen gehört. Die Sänfte wird abgesetzt. Tom streckt seine Beine. Ihm schmerzen die Knie. Der Vormann nimmt ihm die Binde ab. Wang sitzt in seiner Sänfte neben ihm. Sie lächeln sich an, aber sie sagen kein Wort.

Mit der Sänfte auf Bergpfaden

Es ist halb sechs. Die Sonne muß eben aufgegangen sein. Wie ein glutroter Ball steht sie rechts über den Bergen. Nur der Vormann bleibt bei den Jungen. Die Träger eilen in eine einsame Herberge am Bergweg. Sie haben ihren Reis und eine Schale Tee wohl verdient. Ein Träger bringt Reis und Tee für Tom und Wang an die Sänfte. Nach zehn Minuten geht es schon weiter. Toms Sänfte ist vorn, Wangs Träger folgen etwa fünfzig Meter hinterher. Der Bergpfad ist nicht mehr als einen Männerfuß breit. Wenn er besonders steil ist, sind die Felsplatten zu Stufen geordnet. Die Träger haben nur Strohsandalen unter den bloßen Füßen. Ihre kurzen grauen Jacken kleben auf den schweißtriefenden Rücken.

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Sie tragen unter dem Strohhut ein Schweißtuch um die Stirn, damit der salzige Schweiß nicht in die Augen rinnt. Beim zweiten Trägerwechsel nach dem Frühstück ziehen sie die Jacken aus. Tom staunt über ihre wohlgeformten braunen Rücken. An einem Bergbach setzen sie die Sänften einmal wieder auf den Boden. Schlürfend trinken sie das kühle Naß aus hohlen Händen. Der Vormann nutzt die Unterbrechung, um ein Sonnendach auf die Sänften zu zaubern. Mit geübten Händen befestigt er ein weißes Stück Tuch an schnell geschnittenen Bambusstäben. Tom holt sich indessen seine Sonnenbrille aus seinem Koffer. Später umgehen sie ein größeres Dorf auf Seitenpfaden. Hier sind nasse Reisfelder, die für die zweite Ernte mit Büffeln gepflegt werden. Fast bis zum Bauch versinken die Büffel im Schlamm. - Um die Mittagszeit machen die Träger eine mehrstündige Pause. An einem Bergpaß steht einsam eine Wohnanlage, die ähnlich wie das Haus des Bandenführers gebaut ist. Erst im Innenhof werden die Sänften abgesetzt, das Außentor wird wieder geschlossen. Nachdem die Träger ihren Reis mit etwas Gemüse und Sojasoße gegessen haben, ziehen sie sich in die Schlafräume am Außenhof zurück. Für Tom und Wang trägt der Vormann das Essen im Gastzimmer auf. Hier strecken sie auf Bambusbänken ihre Beine. Tom rechnet nach, wieviel Li sie schon gemacht haben mögen; etwa fünfzig waren es bis zum Frühstück, weitere 60 bis zur Mittagspause. Ob sie wohl bald an dem Fluß sind und ihre 300 Dollar bekommen werden? Spät nachmittags endet der Weg an einem Fluß. Aber die Sänftenreise ist noch nicht zu Ende! Der Fluß hat keine Brücke. Ein flaches Fährboot liegt am Ufer, ein Fährmann ist nirgends zu sehen. In ihren Tragstühlen werden die Jungen auf das Boot gesetzt; der Vormann stakt es mit einer langen Stange auf die andere Seite. Dann geht es wieder im Trab über schmale, mit Felsenplatten belegte Pfade.

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